EPISODE 7
DER HINTERHALT
Während Tian Fens Mission reibungslos zu laufen scheint, ereignen sich in Tenggara Haven schreckliche Vorfälle. Carter gerät in eine Falle.
Tenggara Civil Airport
Mit gut 200 Stundenkilometern trug die Magnetschwebebahn sie über das Meer hinaus auf die künstliche Insel des zivilen Flughafens von Tenggara Haven. Tian Fen wischte sich einen Krümel von seinem dunklen Overall, nahm die andere Hand von der Haltestange und wandte sich seinen Leuten zu. Die 24 Männer und Frauen hatte er mit Bedacht ausgewählt. In den letzten Jahren hatte sich jeder Einzelne durch hervorragende Leistungen einen Namen bei ihm gemacht und Fen wusste, dass er sich auf jeden von ihnen verlassen konnte.
Sie saßen verteilt in dem nur spärlich gefüllten Waggon, damit sie unter den anderen nächtlichen Reisenden nicht auffielen. Die Trasse über das Meer endete und der Zug verlangsamte seine Fahrt. In einer großen Kurve fuhr die Bahn auf das erhabene und ausgiebig beleuchtete Abflugterminal zu, und hielt nach einer Minute in Bereich ›D‹, wo Fen und seine Leute ausstiegen.
In der weiten gläsernen Halle brachte der Rebellenanführer sie bis zu einer Ecke mit einer einsamen Sitzgruppe. Dort nahmen seine Männer und Frauen Platz, und so, wie sie da saßen, in ihrer fingierten Freizeitkleidung, konnte man sie leicht mit geschmacksverirrten Touristen verwechseln. Fen fand sogar, dass einige es übertrieben mit ihren Jogginganzügen und grauenvollen Hawaiihemden, doch er wollte seinen Schäfchen nicht diktieren, wie sie sich anzuziehen hatten. Alles, was zählte, war die Mission.
»In Ordnung«, sagte er, als alle sich um ihn versammelt hatten. »Es geht los. Achtet unbedingt darauf, dass niemand euch den Umwandler abnimmt. Eure Taschen sind so abgeschirmt, dass die Sicherheitskontrollen keinen Verdacht schöpfen können. Der Meister will, dass diese Operation reibungslos verläuft, denn seine und die Ankunft aller Echos hängt daran. Und ihr wisst, was das für euch bedeutet.«
Fen blickte zu Chow, einem brutalen Kämpfer. Der Anglerhut passte überhaupt nicht zu seinem stämmigen Körperbau und seinem fanatischen Blick. Doch er begriff sofort, was Fen von ihm hören wollte.
»Für das posthumane Arkadien!«, sagte er schnell.
»Für das posthumane Arkadien!«, wiederholten alle anderen.
Flüchtigen Blickes versicherte sich Fen, dass die anderen Reisenden und vor allem die Sicherheitsmitarbeiter des Flughafens weit genug entfernt waren, um den Schwur nicht gehört zu haben. Aber die Abflughalle war zu dieser Zeit so leer wie eine Kneipe morgens um zehn, und Fens Sorge schien unbegründet. Nur einer der formlosen Putzroboter rauschte in der Ferne über den Boden, und in den Sitzgruppen weiter hinten hielten sich einige schlafende Urlauber auf, deren Flüge wohl erst am kommenden Tag stattfanden.
»Gut!«, sagte Fen und nahm seine Hände zusammen. »Sehr gut. Und jetzt geht. Bringt die Saat der Zukunft nach oben. Tragt das Vermächtnis der Echos in die Welt und lasst es Wirklichkeit werden.«
Fens Untergebene nickten ehrfurchtsvoll und die, die gesessen hatten, erhoben sich von ihren Plätzen. Wie ferngesteuerte Marionetten machten sie sich auf ihren vorbestimmten Weg, in ihren Händen schwere Reisetaschen und Koffer, und verteilten sich in der riesigen Halle. Sie hielten geradewegs auf ihre jeweiligen Abflugschalter zu.
In den nächsten 24 Stunden würden sie die frisch eingetroffenen Energieumwandler zu ihren Bestimmungsorten bringen. Niemand würde sie für die Jünger des Meisters halten, niemand würde sie aufhalten. Die Dinge nahmen ihren Lauf und Fen erkannte, dass alles nach Plan lief. Dankbarkeit und Freude machten sich in ihm breit.
Tian Fen blieb als Einziger an der Sitzgruppe zurück. Bis er mit dem wichtigsten Bestandteil dieser Operation folgen würde, warteten in Tenggara Haven noch wichtige Aufgaben auf ihn. Und während des Meisters Jünger immer kleiner wurden, drang in Fens Kopf eine bestimmte Sache immer stärker in den Vordergrund. Es waren die beiden Eindringlinge, die ihm gestern Abend um ein Haar den Portalschlüssel abgenommen hatten.
Wer waren sie und was hatten sie vor? Eine seiner Wachen hatte gesagt, die Frau sei eine Schmugglerin und der Mann angeblich ein Polizist. Fen wollte das kaum glauben. Kein Verbrecher Tenggaras war so töricht, sich der Rebellion zu verweigern und kein Polizist so wahnsinnig, dem Widerstand offen seine Stirn zu bieten. Fen musste den beiden nachgehen und beschloss, die Überwachungsvideos auszuwerten. Wenn der Kerl wirklich ein Bulle war, sollte er leicht aufzuspüren sein.
Fen betrachtete seine Hände und dachte an das, was vor der heiklen Konfrontation mit den beiden Eindringlingen geschehen war. Seitdem der Blitz den Rebellenanführer getroffen hatte, war sein Körper von einem seltsamen Kribbeln erfüllt, und Fen machte sich Sorgen, er könnte von solchen Dingen wie Krämpfen, Lähmungen oder Herzschäden ereilt werden. Doch als er in sich hineinfühlte, sagte ihm seine Intuition, dass diese Blitze nicht von ungefähr gekommen waren. Nein, sie waren keine Laune des sich aufbauenden Planetenportals gewesen. Allerdings wusste Fen auch nicht, aus welch anderem Grund die Entladungen in ihn und sein Team gefahren waren.
Hinter sich hörte er plötzlich Schritte und erschrak. Zu seiner großen Verwunderung war es kein Wachmann, der ihn fragen wollte, was er hier zu suchen hatte, sondern jemand, der gar nicht hier sein durfte. Fens Puls schnellte in die Höhe.
»Was hast du hier zu suchen?«, fragte er schnell.
In dem wenig ausgeleuchteten Bereich gegenüber der Sitzgruppe, abseits des Hauptareals war einer der Echos. Langsam trat er auf Fen zu, achtete aber penibel darauf, den Schatten nicht zu verlassen. Die Erscheinung trug einen dunklen Mantel, dessen Saum nur knapp über dem spiegelglatten Hallenboden schwebte, und sie schien keine von den Wachen zu sein, welche durch das Portal gelangt waren. Konnte es sich um einen Spitzel des Meisters handeln?
Der Echo sagte nichts. Alle, die durch das Portal gekommen waren, hatten bisher nichts gesagt, sondern nur still ihren Auftrag ausgeführt.
»Spionierst du mir hinterher?«, fragte Fen mit einer Mischung aus Ungeduld und Furcht.
Ein plötzliches Stechen breitete sich in seiner Kopfmitte aus.
»Der Meister will, dass die Angelegenheit reibungslos verläuft.«
Diese Worte hörte Fen, als stünde der Echo direkt neben ihm und hätte sie in sein Ohr geflüstert. Wie war das möglich? Dieses Ding, so menschlich es auch schien, zog in all seiner Grausamkeit etwa 15 Meter vor dem Rebellenanführer durch den Schatten. Sein Gesicht tief in einer Kapuze vergraben. Oder trug es etwa, wie die anderen, eine Maske? Fen hatte noch keinen von ihnen ohne diese Masken gesehen. Konnten die Echos überhaupt die Atmosphäre der Erde atmen?
»Sag ihm, alles läuft nach Plan.« Fen kam es so vor, als würde er mit sich selbst reden. »Dass es zu einem kleinen Zwischenfall bei eurer Ankunft gekommen ist, ist völlig normal. Die Feinde der Rebellion sind zahlreich und sie sind stark. Aber ich habe die Lage unter Kontrolle.«
»Das hoffe ich für dich«, sagte die Stimme aus dem Nichts.
Fen erschauderte über ihren nachgebildeten menschlichen Klang. Bisher hatte er mit den Echos nur über den Yang Melihat, den Sehenden, kommuniziert, und dies hier war das erste direkte Gespräch mit einem von ihnen. Fen wusste, dass die Echos die menschliche Sprache beherrschten, doch ihr Klang war eigentümlich, so als würde sie durch ein schnarrendes Mikrofon vorgetragen werden.
Fen beobachtete den Schatten genau. Mit gemessenem Gang schritt er im Dunkel auf und ab, den Kopf leicht in seine Richtung geneigt. Der Rebellenanführer beschloss, einen Vorstoß zu wagen.
»Warum erkundigt sich der Meister nicht persönlich bei mir? Misstraut er mir etwa?«
Der Schatten blieb unvermittelt stehen. Fen schluckte. Ein tiefes elektrisches Brummen breitete sich um ihn herum aus und es war, als starrte der Echo ihm geradewegs hinab auf den Grund seiner Seele. Fen versuchte, in dem dunklen Nichts unter seiner Kapuze etwas auszumachen, doch auf diese Distanz sah er nicht das Geringste.
Mit einem Mal erstrahlten zwei Lichter in der Mitte des Nichts, dort, wo seine Augen sitzen mussten. Das Brummen intensivierte sich und Fen spürte, wie sein Herz von einer unsichtbaren Macht zusammengedrückt wurde. Er rang nach Luft und musste sich zwingen, seine aufrechte Haltung beizubehalten. Nicht eine Sekunde lang zweifelte er daran, dass es etwas anderes war als der undurchdringliche Zorn des Wesens ihm gegenüber.
»Der Meister will sichergehen, dass du für diese Aufgabe geeignet bist«, durchdrang es Fen.
»Der Meister kann sich auf mich verlassen!«, brachte Fen schmerzerfüllt hervor.
Nun trat die finstere Gestalt aus dem Schatten, hob seinen Kopf, sodass Fen unter seine Kapuze sehen konnte. Er erschauderte. Lange hatte er die Echos für seinesgleichen gehalten, doch nun bekam er die Gewissheit, dass dem nicht so war. Sie waren weit mehr als er oder als sonst irgendwer auf diesem Planeten. Die Lichter des Echo lasteten weiterhin auf Fen, während das Drücken in seiner Brust langsam nachließ.
»Dann …«, begann der Echo bedächtig. »Dann werde ich dem Meister diese Kunde bringen.«
Fen schluckte erneut, sein Blick noch immer starr auf der Gestalt, die er auf die Erde gelassen hatte. Dann trat sie wieder ins Dunkel, drehte um und ging. In Fens Kopf erscholl ein weiteres Mal die eigentümliche Stimme.
»Er wird sich bei dir melden.«
Veränderungen
Der 10. Juli begann für Carter mit dem Klingeln seines Intercoms. Seit dem Tod seines Bruders vor zwölf Jahren schlief er traumlos und nur wenige Stunden. So war es auch kein Wunder, dass er sich wie gerädert fühlte, als er an diesem Morgen auf dem Sofa erwachte, und mit fahriger Hand nach dem Intercom auf dem kleinen Tisch angelte. Dabei stieß er gegen die leere Flasche Arrak, die mit einem dumpfen Schlag auf dem Teppich landete.
»Fuck«, entwich es Carter heiser.
Er richtete sich auf, um das Chaos auf dem Tischchen überblicken zu können, und fand das piepende Kommunikationsgerät schließlich unter einem durcheinandergeratenen Papierstapel. Es war der Ausdruck des Mietvertrags für das Apartment, den Carter noch immer nicht unterschrieben hatte. Verwundert sah der Soldat auf das kleine Display und stellte erst jetzt fest, dass es kein Klingelton war, sondern ein Alarmton.
Die Meldung kam direkt Janaka. Er leitete den Notfall-Code B-613 von der obersten Direktion weiter. Kurz hatte Carter geglaubt, Janaka, dieses Arschloch, würde ihm schreiben, er könne heute und den Rest seines beschissenen Lebens daheimbleiben, doch es war tatsächlich eine Aufforderung, zum Dienst zu erscheinen.
Mehr noch, die Nachricht sprach davon, dass sich unverzüglich alle verfügbaren Einsatzkräfte in ihre Wachen begeben und weitere Befehle abwarten sollten. Carters Schlaftrunkenheit war wie weggewischt und sofort begannen sich, sämtliche Adern in seinem Körper zusammenzuziehen. Was um alles in der Welt war geschehen?
Auch wenn der Code B-613 ihm nichts sagte, so wusste er, dass es Ärger bedeutete. Carter sprang von der Couch, sammelte seine Sachen vom Boden auf und zog sich schnell an. Als er den Gürtel festschnallte, stellte er sich ans Fenster, hinter dem sich ein neuer turbulenter Tag im tropischen Paradies anbahnte. Die Sonne war bereits über den Horizont gekrochen und umhüllte die Spitzen der höchsten Häuser im Stadtzentrum mit ihrem warmen Morgengold. Allerdings sah Carter noch mehr.
Drüben am Hafen stiegen Rauchsäulen auf. Wie gigantische schwarze Pfeile durchbrachen sie die Zuversicht des beginnenden Tages, erinnerten Carter daran, dass die Sorgen von gestern nicht vergessen waren. Ein monströses Brummen erscholl wie aus dem Nichts und nur Sekunden später jagten zwei große Gleiter über Carters Haus hinweg. Der Soldat stutzte.
Es waren zwei Transporter der Syrakus-Klasse, von denen er wusste, dass sie hauptsächlich als Truppentransporter bei der Bereitschaftspolizei und den Streitkräften der Allianz eingesetzt wurden. Und sie flogen geradewegs auf den Hafen zu. Carter fuhr sich mit der Hand über sein Kinn, hörte das unrasierte Knistern. Seinem schweren Herzen entwich ein entmutigter Seufzer. Er hoffte nicht, dass die Rebellen oder die Allianz in der Nacht eine groß angelegte Offensive gestartet hatten, denn er wäre nur ungern im Zentrum all dessen.
Doch es half nichts. Zornig schlug er mit seinen Fäusten gegen das Fensterglas, zog seine schwarze Lederjacke über das weiße Shirt und verließ das Apartment, ohne einen Bissen gegessen zu haben. Als die Wohnungstür hinter ihm zufuhr, entdeckte er die alte Miss Indrawati. Wie jeden Tag trug sie auch an diesem Morgen das graue Leinenkleid und die grüngeblümte Kittelschürze darüber. Miss Indrawati stand in ihrer Tür und blickte ängstlich hinaus.
»Ach, Sie sind es, Mister Reed«, zitterte ihre Stimme.
»Sie sind früh wach, Miss Indrawati.«
»Haben Sie nicht den Lärm gehört?«, fragte sie besorgt. »Es klang wie Schüsse und Explosionen. In den Nachrichten sagen sie, man solle zu Hause bleiben und niemanden hereinlassen. Ich mache mir solche Sorgen! Vielleicht wissen Sie etwas. Sie sind ja Polizist…«
Carter sah sich um. Außer ihr blickte niemand aus der Wohnung. Carter richtete den Kragen seiner Jacke und sagte: »Machen Sie sich keine Sorgen, Miss Indrawati. Wir kümmern uns darum. Aber am sichersten ist es vermutlich, wenn Sie erst einmal drinnen bleiben, bis klar ist, was genau vorgefallen ist.«
Carter wusste, dass er der alten Dame kaum Sicherheit geben konnte. Er wusste ja nicht einmal selbst, was los war. Die Augen der Frau glitzerten aufgeregt. Offenbar wollte sie noch etwas loswerden, doch sie presste ihre faltigen Lippen fest aufeinander und ging zurück in ihr Apartment. Die Wohnungstür schob sich langsam zu, und Carter machte sich mit einem weiteren sorgenvollen Seufzer auf den Weg zum Aufzug.
Ein seltsames Brummen durchdrang die Struktur des Gebäudes. Carter blickte sich kurz um. Er stutzte und blieb stehen. Miss Indrawatis Wohnungstür war nicht ganz zugefahren. Ein Gegenstand lag am Boden, und das Türblatt fuhr unablässig dagegen und wieder ein Stück zurück, von wo aus es einen erneuten vergeblichen Anlauf unternahm.
Carter drehte um, schlug mit seiner Hand gegen die Gummilippe der Tür, woraufhin diese ganz auffuhr. Dann hob er den Gegenstand auf. Es war ein schwarzer Damenschuh, den Miss Indrawati offenbar unbeabsichtigt in den Türspalt geschoben hatte. Der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee drang Carter in die Nase und die Geräusche des laufenden Fernsehers schallten in seine Ohren.
»Miss Indrawati?«, rief Carter in die Wohnung. »Da hat etwas Ihre Tür blockiert. Ich habe…«
Ein plötzlicher Schrei und ein lautes Klirren waren die unerwartete Antwort. Carter zuckte zusammen. Er hoffte nicht, dass er der armen alten Frau mit seinem Eintreten einen Herzinfarkt beschert hatte, immerhin hatte sie damit gerechnet, dass ihre Wohnung geschlossen war. Gerade an diesem Morgen, wo die Nachrichten ihr sagten, sie solle drinnen bleiben. Carter rang mit sich. Sollte er wirklich nachsehen?
Er schob seine Zweifel beiseite und stürmte hinein, geradewegs ins Wohnzimmer, und was er dort sah, ließ ihn sofort wie angewurzelt stehenbleiben.
Direkt vor ihm breitete sich ein seltsamer blauer Schein aus. Carter sah nichts mehr von der Fensterfront, denn dieses gleißende Zeug war wie eine Wand, ein Vorhang aus grellem Plasma. Sofort schossen ihm die schrecklichen Erinnerungen an die Portalöffnung von vorgestern durch den Kopf. Was aber noch schrecklicher war, war die Feststellung, dass Miss Indrawati zur Hälfte in diesem Zeug steckte.
Ihre alten Augen blickten Carter panisch an. Sie stieß einen gellenden Schrei aus, zu ihren Füßen verteilten sich Scherben weißen Porzellans wie ausgeschlagene Zähne und eine dunkle Flüssigkeit. Carter machte einen Satz, packte ihren Arm. Doch als er an ihm zerrte, spürte er, dass Miss Indrawati sich kein Stück von der Stelle bewegte.
Dafür stellte Carter erschreckt fest, dass der blaue Schein sich bewegte. Langsam kroch er voran, schob sich zäh wie ein schwerer Vorhang über den Fliesenboden. Miss Indrawati schrie ohne Unterlass und wurde zusehends vom Plasma verschluckt.
»Kommen Sie!«, brüllte Carter. »Sie müssen aus dem Zeug raus!«
Die alte Frau hörte ihn nicht mehr. Sie kreischte, als würde ihr verlebter Körper von unvorstellbaren Schmerzen heimgesucht. Carter ließ ihren Arm los und musste zusehen, wie das Plasma sich um ihre schmalen Schultern legte, über ihren Scheitel kroch und ihr Gesicht herabfloss. Es war grauenvoll. Der Schein war wie eine zähe flüssige Masse, die alles verschlang, was sie berührte. Er überdeckte Miss Indrawatis panische Augen, ergoss sich in ihren schreienden Mund.
Ihr Brüllen erstarb auf der Stelle und Carter wich angsterfüllt zurück. Er erkannte, dass er für Miss Indrawati nichts mehr tun konnte. Neben ihm klirrte und schepperte es. Der Schein fraß sich durch das Mobiliar, und wenn Carter nicht aufpasste, würde es auch ihn erwischen.
Von Miss Indrawati war nur noch eine krumme verschwommene Silhouette zu erkennen. Carters Lippen zitterten vor Entsetzen, und mit weit aufgerissenen Augen wandte er sich von diesem Albtraum ab und floh aus der Wohnung. Mit großen Schritten erreichte er den Aufzug, hämmerte auf das zerkratze Display, um ihn anzufordern. Als er nach drei Sekunden noch immer keine Rückmeldung hatte, trat er außer sich vor Wut gegen die Tür und rannte ins Treppenhaus.
Panisch sprang er Absatz für Absatz hinunter, hörte aufgebrachte Schreie und haltloses Weinen, besessenes Klirren und nachdrückliches Scheppern aus allen Etagen, an denen er vorbeikam. Es schien sich im gesamten Haus auszubreiten. Als er im Erdgeschoss ankam und die Tür zur großen Eingangshalle aufdrückte, schlug ihm der Lärm und die Aufregung zahlloser Bewohner entgegen.
Carter kämpfte sich durch die angsterfüllte Menschenmenge, das dumpfe unheilvolle Grollen des Plasmas dicht über ihm. Hatte er gehofft, draußen auf der Bangla Road wäre die Lage entspannter, so musste er schmerzlich feststellen, dass dort ein noch größeres Chaos herrschte.
Von oben stürzten Gesteinsbrocken herab. Einige Menschen wurden von den Brocken getroffen, gingen schreiend nieder. Die anderen liefen panisch aus dem Gefahrenbereich, suchten Schutz auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Carter überquerte die Straße und sah nach oben. Die grellblaue Erscheinung schien die Gebäudestruktur anzugreifen! Unter dem sommerlichen Himmel zuckten grelle Blitze um die Spitze des Apartmentkomplexes, und wann immer eine Entladung die Gebäudefront traf, splitterten Fragmente davon ab und sausten auf die Straße nieder. Über dem Dach erhob sich eine mächtige blaue Säule und drückte sich Hunderte Meter hoch in den Himmel.
Carter beschloss, sofort zur Wache aufzubrechen. Auf dem Weg zur Haltestelle wurde ihm schlagartig bewusst, warum die oberste Direktion den Notfallcode ausgegeben hatte. An der Sumbawa Road, zwei Blöcke weiter, war es dagegen erschreckend ruhig. Nichts deutete auf das Chaos und die dramatischen Szenen hin, die sich vor Carters Haus abspielten. Die Leute gingen ihren morgendlichen Tätigkeiten nach, Händler bauten ihre Stände auf, andere Bewohner Tenggaras gingen zur Arbeit.
An der Haltestelle erwischte Carter einen Bus nach Subahra Point, wo seine Wache lag. Er zwängte sich hinein und das altertümliche Gefährt erhob sich schwerfällig in den Himmel. Als es über die Dächer der Häuser gelangte, sah Carter seinen Apartmentkomplex und die um ihn wirbelnden Blitze. Die Fahrgäste riefen sich aufgeregt irgendetwas in ihrer Landessprache zu, doch Carter brauchte keinen Übersetzer, um die Bedeutung ihrer Worte zu verstehen. Die angsterfüllte Klangfarbe ihrer Stimmen reichte völlig aus.
Auf dem Weg zu Wache 327 sah Carter noch weitere Hotspots, Orte, an denen scheinbar aus dem Nichts blaues Plasma erwuchs. Es waren ebenfalls gewaltige grellblaue Säulen, die senkrecht aus dem Boden wuchsen, und alles verschlangen, was sich an dieser Stelle befand. Die Spitzen dieser Gebilde verblassten etliche hundert Meter über der Stadt. Carter zählte zwei Dutzend von ihnen.
Irgendetwas Grauenvolles geschah hier und Carter hatte keine Ahnung, was! Was er aber mit Sicherheit sagen konnte, war, dass es mit der Öffnung des Planetenportals zusammenhängen musste. Diese Plasmagebilde waren zu auffällig, als dass sie eine andere Erklärung zuließen. Die warnenden Worte Annisa Dwans erklangen in seinen Ohren.
Wer die Portaltechnologie beherrscht, hat sehr viel Macht. Niemand sollte sie leichtfertig nutzen, denn niemand weiß, was sich auf der anderen Seite verbirgt.
Während Tenggara Haven draußen hinter den Scheiben allmählich im Chaos versank, erwachte in Carter der brennende Wunsch, in den Transitraum zurückzukehren und das Portal zu schließen. Es schien die einzige Möglichkeit, dieses sich rasch ausbreitende Unheil aufzuhalten. Dieser Gedanke führte ihn zu einer weiteren erschreckenden Erkenntnis.
Zusammen mit Olivia waren sie die Einzigen, die von dem finsteren Plan der Rebellen wussten. Aber das, was der ›Penjaga Gerbang‹ und seine Schergen losgetreten hatten, erschien zu groß, zu mächtig, als dass Carter es einfach aufhalten könnte. Er brauchte Waffen, starke Waffe. Er wusste, woher er diese bekam, und ihm war es mittlerweile vollkommen gleich, was seine Kollegen sagen oder tun würden. Niemand konnte ihn jetzt noch aufhalten.
Der Hinterhalt
Carter war spät dran. Der Bus hatte einen Umweg fliegen müssen, weil eine der Luftstraßen aufgrund der immer chaotischer werdenden Zustände gesperrt war. Erst um kurz nach 7 Uhr – eine ganze Stunde, nachdem er Janakas Meldung erhalten hatte – erreichte Carter die Wache 327 am Rand des Stadtzentrums. Die Luft war klar und warm, und die Sonne ließ die gläsernen Fassaden um ihn herum wie einen antiken Schatz glitzern. Nichts deutete auf die grauenvollen Geschehnisse hin, die sich nur wenige Kilometer von hier ereigneten.
Überrascht stellte Carter fest, dass die Eingangstür der Wache verschlossen war, und so ging er entlang der Betonmauer einige Meter weiter, bis er vor dem Tor zum Innenhof stand. Nervös gab er den Zutrittscode am Terminal ein, woraufhin das Rolltor mit metallischem Rattern auffuhr.
Der Innenhof war ein trauriger Betonplatz ohne eine Pflanze, eingerahmt von einer ebenso grauen Mauer, auf deren Oberseite ein Stacheldraht thronte. Carters plötzlich aufkommende Gedanken, Janaka und die anderen könnten bereits unterwegs zu einem der Einsatzorte sein, zerstreuten sich schnell im Wind, denn sowohl die beiden Dienstfahrzeuge als auch die sechs Hoverbikes standen noch hier.
Besorgt sah er hinauf. Um ihn herum streckten sich die Hochhäuser in den Himmel, und über ihren Spitzen sah er weitere Syrakus-Gleiter in Richtung Osten fliegen. Entschlossen hielt Carter auf den Seiteneingang zu, und dieser war, wie er gehofft hatte, glücklicherweise nicht verschlossen. Drinnen allerdings war es stiller als sonst, doch frische Zigarettenstummel im Aschenbecher auf der Empfangstheke und zwei halbvolle Kaffeetassen zeugten davon, dass bis vor kurzem noch jemand hier gewesen war.
Carter blickte auf sein Intercom. Keine Nachricht von Janaka. Er dachte an seine Mission, dass er sich ausrüsten und zum Portal zurückkehren wollte, und ihm kam es sogleich wie eine glückliche Fügung vor, denn der Weg zum Waffenschrank war nicht mit seinen lästigen Kollegen gepflastert. Carter ging den Flur herunter, blickte vorsichtshalber in die Umkleide und in den Gemeinschaftsraum am hinteren Ende, doch niemand war da. Er ging zurück und öffnete gegenüber der Umkleide die Tür zu Janakas Büro, wo sich der Schlüssel zum Waffenschrank befand. Doch kaum hatte Carter sie geöffnet, erstarrte er.
Hier waren sie also! Langsam schob er die Tür ganz auf, nur um die schreckliche Gewissheit zu haben, dass keiner von ihnen mehr am Leben war. Irgendjemand war in der Wache gewesen und hatte sie erschossen. Alle. Als ungeordneter Haufen lagen sie vor Janakas Schreibtisch. Carter erkannte Ricks ätzende Visage. Der fette Kerl lag obenauf und verdeckte die anderen. Seine Augen waren weit aufgerissen, so als wäre er in dem Augenblick gestorben, in dem er sich seines Todes bewusst geworden war. Angewidert wich Carter auf den Korridor zurück.
Was sollte er tun? Scheinbar hatten die Rebellen der Wache einen Besuch abgestattet. Carter dachte an Janakas Meldung und daran, dass der Feind sie womöglich auch erhalten hatte. Alles deutete auf eine Offensive der Rebellen hin, und Carter beschloss, seine Uniform heute im Schrank zu lassen. Neben ihm knackte plötzlich etwas, und im Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr.
Carters Sinne waren plötzlich geschärft, denn der Gedanke, der Mörder seiner Kollegen könnte noch hier sein, drang ihm ins Bewusstsein. Er drehte sich zur Seite und traute seinen Augen nicht. Im schummerigen Licht des heruntergekommenen Korridors stand jemand, oder sollte er besser sagen, etwas?
Carter war sich nicht sicher, ob das Ding ein Mensch war. Die Körperform unter dem langen schwarzen Mantel sprach jedenfalls dafür. Was definitiv dagegensprach, war die fast schwarze krustige Haut im Gesicht, die sich bis über den kahlen Schädel zog. Fehlende Lippen ließen die gelben Zähne aufblitzen wie bei einem Totenschädel und dort, wo eigentlich die Augen sein sollten, befand sich etwas, das Carter an Lichter erinnerte. Das Ding schritt langsam auf ihn zu, hatte einen Gegenstand in seiner rechten Hand, der Ähnlichkeit mit einem Schlagstock hatte. An seiner Spitze zuckte plötzlich ein Lichtblitz auf.
»Carter Reed«, durchdrang eine roboterhafte Stimme den Raum.
»Oh, nein!«, entwich es Carter. »Mich kriegst du nicht!«
Die Gestalt nahm Anlauf, die Waffe auf Carter gerichtet. Seine Gedanken rasten. Er musste hier raus, aber nicht ohne Waffen! Entschieden lehnte er sich gegen seinen Fluchtreflex auf, machte einen Satz in Richtung des Angreifers. Schneller, als dieser seinen ersten Zug machen konnte, schlug Carter mit der Faust in das hässliche Gesicht.
Der Angreifer stieß einen wütenden Schrei aus, prallte gegen die Korridorwand. Carter trat gegen die Waffe, bekam sie jedoch nicht in seine Finger. Die Gestalt packte Carters Kopf und presste ihn gegen die Wand. Carter trat nach hinten aus, drückte den Angreifer mit aller Kraft von sich. Dieser taumelte und stürzte. Carter kam frei.
Aus der Waffe löste sich ein Laserimpuls und schlug dicht neben Carter in die Wand. Die Fahndungsblätter und ein Teil der Bezirkskarte gingen auf der Stelle in Flammen auf. Ihre Überbleibsel trieben wie pechschwarze Schneeflocken durch die Luft. Carter warf sich aus der Schusslinie, robbte auf allen Vieren zu Janakas Büro, während er hörte, wie der Angreifer zurück auf die Beine kam. Der Gestank von versengtem Papier und Kunststoff setzte sich in seiner Nase fest. Carter rettete sich ins Büro, zog die Tür zu und verriegelte sie.
Hektisch sah er sich um. Carter war kurz davor, dass ihm die Kontrolle über seinen Körper entglitt.
Komm schon, alter Junge!, rief er sich ins Bewusstsein. Cool bleiben. Wie in alten Zeiten!
Doch das war leichter gesagt als getan. Zu seinen Füßen lagen seine ermordeten Kameraden und draußen auf dem Korridor war dieses Ding! Für Carter war unmissverständlich klar, dass es Janaka und die anderen umgebracht hatte. Woher kam diese Gestalt so plötzlich? Die Augen erinnerten Carter an die Personen, die er in der Öffnung des Planetenportals gesehen hatte. Konnte es sein, dass …
Weiter kam er mit seinen Überlegungen nicht. Ein Laserstrahl ätzte ein Loch in die Tür, auf der Höhe, wo sich der Schließriegel befand. Carter saß in der Falle. Janakas Büro war ein kleiner Verschlag von wenigen Quadratmetern mit Schreibtisch und Computer, und das einzige Fenster an der Rückwand war nicht nur zu klein für einen Erwachsenen, es war auch vergittert.
Die dunkle, krustige Hand des Angreifers langte durch das Loch und zerrte am Schließmechanismus. Es knackte und die Tür schob sich auf. Carter hastete um Janakas Schreibtisch herum, riss die Schubladen auf. Sofort fand er, wonach er suchte. Eine kleine goldfarbene Plastikkarte lag gebettet auf einem schmutzig grauen Brillenputztuch, umgeben von einer halbleeren Schnapsflasche und Zigaretten. Sie war der Schlüssel zum Waffenschrank. Sofern Carter lebendig zu ihm gelangte!
Der mysteriöse Angreifer stürmte herein. Carter steckte die Schlüsselkarte in seine Hosentasche. Dann schnappte er sich den Monitor und warf ihn über den Tisch. Mit einer Ecke voran traf er den Kopf der Gestalt. Doch sie ließ sich nicht beirren, und stapfte wutschnaubend um den Tisch. Carter nahm Janakas Drehstuhl und schmetterte ihn dem Ding entgegen. Dabei verlor es seine Waffe. Das war Carters Chance!
Er sprang auf den Angreifer zu, verpasste ihm einen weiteren Kinnhaken. Unbeeindruckt schnappte er Carter und warf ihn zu Boden.
»Lass mich los!«, schrie er.
Das vernarbte und schweißfeuchte Gesicht erschien dicht über ihm. Die grellen Augen des Angreifers starrten auf Carter herab, von ihnen ging ein eigentümliches Surren aus. Eine kräftige Hand legte sich an seinen Hals und drückte mit der Kraft einer Straßenwalze zu. Carter blieb die Luft weg. Aus purer Verzweiflung zog er die Beine an, trat nach dem Ding. Ohne Erfolg. Mit seinen Händen tastete Carter in dem Durcheinander um sich herum, in der verzweifelten Hoffnung, etwas zu finden, mit dem er sich aus dem Griff befreien konnte. Ihm wurde schwarz vor Augen und in seinem Kehlkopf hörte er ein leichtes Knacken, als er mit seinen Fingern plötzlich einen länglichen Gegenstand erfühlte.
Die Waffe!
Er packte sie und drückte sie dem Ding an den Kopf. Allerdings fand Carter keinerlei Abzug, und die Kreatur war drauf und dran, ihm das Lebenslicht auszulöschen. Carters Hand rutschte an dem Gegenstand nach oben, bis er eine geriffelte Oberfläche erfühlte. Sofort blitzte ein gleißendes Licht an der Spitze des Objekts auf und verpasste dem Angreifer einen elektrischen Hieb.
Wütend sprang dieser auf, schlug Carter die Waffe aus der Hand. Der Soldat rollte sich zur Seite, wollte dem Biest entfliehen. Aber der Angreifer war schneller. Mit seinen Pranken packte er Carter, hob ihn hoch und warf ihn auf den Schreibtisch.
Mit einem lauten Schrei schlug er auf Janakas Arbeitsmaterialien, kullerte über die Kante und landete wieder auf dem Boden, unmittelbar neben seinen Kameraden an der Tür. Ein grässlicher Schmerz durchzog seinen Rücken und in seinem Mund schmeckte er Blut. Doch Carter war niemand, der leichtfertig aufgab. Er rappelte sich auf und stürzte aus dem Raum.
Doch bevor er Hoffnung schöpfen konnte, blickte Carter in die entsetzlichen Gesichter zweier weiterer Gestalten. Sie kamen ihm vom Gemeinschaftsraum entgegen. Carter drehte um, schleppte sich zurück zum Seiteneingang, von wo er gekommen war. Hinter ihm hörte er grauenvolles Röcheln und stampfende Schritte. Carter bog um die Ecke und schlug mit seiner Faust auf das Terminal der Tür. Doch sie verwehrte ihm den Durchgang.
»Bitte nicht!«, brüllte er.
Sein Atem ging schnell und flach, als er einsehen musste, worauf diese Sache hinauslief. Er drehte sich um. Jede Sekunde würden sie dort auftauchen. Sie waren mindestens zu dritt und sie waren bewaffnet. Ihm blieb nur eine letzte verzweifelte Tat. Carter schluckte den Schmerz runter und nahm Anlauf.
Mit allem, was sein geschundener Körper hergab, rannte er um die Ecke, geradewegs auf seine Angreifer zu. Diese rissen ihre Waffen hoch. Carter sprang, ballte die Fäuste. Wie ein Profi-Wrestler erwischte er die vorderste Kreatur, noch bevor diese feuern konnte, und brachte sie zu Boden. Carter zerrte an der Waffe, doch die Gestalt hielt sie beharrlich fest.
Der zweite Angreifer hatte sich vor Carter aufgebaut und zielte mit dem dunklen Stab auf seinen Kopf. Carter wusste, es war aus. Sein Plan war nicht aufgegangen. Er ließ die Waffe des Angreifers los und hob den Blick. Wie ein Henker stand die Gestalt über ihm. Carter hielt den Atem an.
Unerwartet stürzte jemand aus der Umkleide direkt neben ihm. Mit einem leuchtend roten Gegenstand traf die Person den Kopf des Angreifers. Dieser kippte vor Carter zu Boden. Die Gestalt unter Carter wehrte sich, warf ihn von sich. Carter taumelte davon, und erkannte, wer ihm zur Hilfe geeilt war.
»Joseph!«
»Zur Seite mit dir, Reed!«, rief sein Kollege.
Der dunkelhäutige Polizist mit der Augenklappe hielt einen Feuerlöscher in seinen Händen. Er hob ihn erneut in die Luft und mit schwingenden Dreadlocks ließ er ihn auf den zweiten Angreifer niedersausen. Dumpf drückte sich der Gegenstand in das furchtbare Antlitz. Doch die Kreatur war nicht tot.
»Schnell!«, rief Joseph. »Wir müssen irgendwie hier raus. Die sind überall!«
Carter kam auf die Beine. »Ich habe den Schlüssel für den Waffenschrank.«
»Dann los, nichts wie weg hier!«
Carter und Joseph rannten in den Gemeinschaftsraum. An der Tür zum Ausrüstungsraum zückte Carter den Schlüssel, während Joseph mit Feuerlöscher in den Händen ihm Deckung gab. Carter zog das Plastikkärtchen durch den Schlitz und auf ein grünes Aufleuchten öffnete sich die Tür. Die beiden huschten hinein, und Joseph verschloss den Zugang sofort wieder.
»Das wird nichts bringen«, keuchte Carter. »Ihre Laser sind stärker als unsere.«
»Das wird uns zumindest einen kleinen Vorsprung verschaffen.«
Der einäugige Polizist entfernte sich von der Tür und Carter folgte ihm. Der Ausrüstungsraum war eine kleine Halle mit dem Charakter einer Hinterhofgarage. Durch vergitterte Oberlichter drang das Tageslicht herein und am hinteren Ende befand sich das rettende Rolltor zum Innenhof.
Joseph ließ den Feuerlöscher fallen und hastete auf den Waffenschrank zu, ein monströses Modul aus Stahl, welches in seiner Gänze im Laderaum eines Syrakus-Einsatztransporters Platz fand. Aus dem Gemeinschaftsraum hörte Carter Schüsse, doch noch hielt die Tür. Joseph trat auf den schmalen Gittergang in der Mitte des Moduls und blieb vor den gläsernen Schranktüren stehen. Dahinter lagerten aufgereiht Lasergewehre.
»Sie waren kurz vor dir da«, sagte Joseph, ohne Carter anzusehen. »Sie haben keine Fragen gestellt, sondern sofort das Feuer eröffnet. Die anderen hatten nicht einmal die Chance, sich zu ergeben.«
»Und du?«, fragte Carter.
»Ich war in der Umkleide und konnte mich in einem der Schränke verstecken. Als ich dich hörte, musste ich dir helfen.«
Carter sah den Polizisten an.
»Du hast mir das Leben gerettet.«
»Schon gut«, sagte Joseph. »Du darfst dich gern revanchieren.«
Von der Tür erscholl eine Detonation. Sie waren drin! Joseph gab Carter ein stilles Zeichen und dieser zog sofort die Schlüsselkarte durch das Lesegerät neben den gläsernen Türen. Quälend langsam fuhren sie auf. Carter drehte sich um. Von ihrer Position aus, mitten auf dem Modul, konnten sie die Feinde nicht ausmachen. Die Materialbehälter in ihrem Rücken verhinderten dies.
Joseph flüsterte: »Lenk sie ab. Ich sehe, was ich kriegen kann.«
Carters Augen suchten vergeblich nach irgendetwas, das ihm helfen konnte, und blieben schließlich an einem Schraubenschlüssel kleben. So groß, wie das Ding war, musste es für die Ladungssicherung des Moduls am Transportfahrzeug da sein. Ohne zu zögern entnahm Carter das Werkzeug aus der Halterung, schlich an den Rand des Moduls. Hinter den Materialbehältern hörte er Schritte.
Carter umschloss den Griff des Schraubenschlüssels mit beiden Händen, nahm ihn über seine Schulter. Er kam sich vor wie ein Baseballspieler, nur mit dem Unterschied, dass das Werkzeug mindestens doppelt so schwer wie ein Holzschläger war. Er lauschte, hörte ihr entsetzliches Röcheln.
Verdammt, wie lange braucht Joseph noch?
Der erste Angreifer jagte hinter dem Materialbehälter hervor. Instinktiv holte Carter aus und traf. Mit einem dumpfen Knacken hielt der mächtige Schraubenschlüssel die Kreatur auf. Ihr Kopf knickte weg und sie glitt aus. Doch sofort tauchten die anderen Gestalten auf.
»Joseph!«, rief Carter. »Ich kann sie nicht alle aufhalten!«
»In Deckung!«, hörte er hinter sich.
Im gleichen Augenblick schossen blaue Laserstrahlen an ihm vorüber, verfehlten die Angreifer jedoch. Sie sprangen zur Seite, suchten Schutz im Schatten des Moduls.
»Los, raus hier!«, forderte Joseph.
Carter ließ das Werkzeug fallen, und schloss zu seinem Kollegen auf, der sich zwei Gewehre um seine Schultern gehängt hatte. Auf der anderen Seite des schmalen Gangs sprang er die zwei Stufen hinab auf den Hallenboden und lief zum Rolltor. Mit ein paar Schüssen barsten die Segmente laut auseinander.
»Das Tor hat einen Taster!«, rief Carter.
»Ach ja?«, gab er zurück. »Und was lässt dich glauben, dass sie es nicht verriegelt haben?«
Joseph hatte vermutlich recht. Die beiden verließen das Lager hinaus auf den Innenhof, wo sich jeder unverzüglich auf ein Hoverbike setzte. Joseph warf Carter ein Gewehr zu. Eine Salve greller Strahlen jagte dicht an ihm vorbei, funkenschlagend trafen sie eines der Dienstfahrzeuge. Carter nahm das Gewehr hoch und feuerte in Richtung der Angreifer.
Der Vorderste ging getroffen nieder, doch hinter ihm kamen noch mindestens vier weitere aus dem Gebäude. Es war aussichtslos. Diese Wache war verloren.
Josephs Hoverbike erhob sich surrend in die Luft. Carter hängte sich die Waffe um, startete den Motor und hob ebenfalls ab. Die Angreifer blickten hinauf, doch sie konnten die Polizisten nicht mehr erwischen. Zu schnell waren sie über die Mauer des Innenhofs hinweg und außerhalb der Reichweite ihrer Waffen. Carter wusste auch, dass sie ihnen kaum mit den anderen Bikes folgen konnten, denn diese ließen sich nur mit dem Handabdruck registrierter Mitarbeiter starten.
»Das war verflucht knapp!«, rief Joseph herüber. »Die Rebellen haben offenbar einen Angriff gestartet. Sehen wir zu, dass wir uns einer anderen Einheit anschließen.«
Seine Rasterlocken wehten im Fahrtwind und in seinem Gesicht lag ein grimmiger Blick. Carter wusste, Joseph konnte nichts von dem Penjaga und dem Portal wissen. Doch er musste es seinem Kollegen sagen. Es gab keine andere Möglichkeit.
»Da ist noch mehr!«, rief Carter. »Sie haben eine Schattenarmee. Wir brauchen Verstärkung!«
EPISODE 8
EIN PLAN
Carter und Joseph suchen Unterstützung bei der Polizei und der Allianz. Niemand glaubt ihnen, doch sie bekommen Hilfe von unerwarteter Seite.
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