INTERVIEW MIT RALPH EDENHOFER
29. November 2024 | Autor: Ryan Rockwell | Lesedauer: 10 Minuten
Liebe Science-Fiction-Fans. Willkommen zur zweiten Ausgabe der SPACE LOUNGE! In meiner galaktischen Interviewreihe lasse SciFi-Schreibende zu Wort kommen, um über ihre Werke und ihr Schreiben zu sprechen.
Nachdem zum Start Autor David Reimer über sein aktuelles Werk sprach, gibt es heute ein Interview mit Ralph Edenhofer, der in verschiedenen Sub-Genres schreibt, sich aber insgesamt lieber nach Herzenslust in der Science-Fiction austobt als sich an ein bestimmtes Genre zu binden.
Mit Ralph spreche über seinen aktuellen Erstkontakt-Roman “Antarer – Besuch aus dem All”. Doch nicht ausschließlich, auch Ralphs Hauptwerk, die umfangreiche c23-Reihe sprechen wir an. Außerdem, für wie wahrscheinlich er einen Erstkontakt in näherer Zukunft hält, und was sein Lieblingsgetränk bei Lesungen ist.
RYAN ROCKWELL:
Hallo Ralph, Anfang des Jahres erschien dein Science-Fiction-Roman »Antarer – Besuch aus dem All«. Erzähl doch einmal kurz, um was es dabei geht?
RALPH EDENHOFER:
Hallo Ryan. Der Untertitel „Besuch aus dem All“ sagt eigentlich schon, worum es geht: „Antarer“ ist ein Erstkontaktszenario, in dem Außerirdische zur Erde kommen. Ich stehe allerdings auf dem Standpunkt, dass Aliens für uns vermutlich derart fremdartig sind, dass wir sie möglicherweise gar nicht als intelligente Lebewesen erkennen, selbst wenn wir ihnen direkt gegenüberstehen. Von daher sind meine Antarer Außerirdische der völlig anderen Art, was entsprechende Probleme im gegenseitigen Verständnis und bei der Kontaktaufnahme zur Folge hat.
RYAN ROCKWELL:
Wer sind die Figuren in »Antarer« und wie schaffst du es, sie glaubhaft erscheinen zu lassen?
RALPH EDENHOFER:
Die erzählende Protagonistin in „Antarer“ ist die Astronomin Tony Rodgers, die als Erste entdeckt, dass etwas Seltsames auf die Erde zukommt. Bis dahin hat sie sich mit kosmologischen Fragestellungen beschäftigt, die für die meisten Menschen derart abgehoben sind, dass sie sich ausschließlich in ihrer akademischen Bubble bewegt hat.
Durch ihre Entdeckung ändert sich das und sie gerät unfreiwillig in den Fokus einer breiten Öffentlichkeit, worauf sie überhaupt nicht vorbereitet ist. Nebenher kämpft sie auch mit Beziehungsproblemen, ihrer missgünstigen Vorgesetzten und schrägen Kollegen, halt all den Dingen, die zutiefst menschlich sind.
Um das soziale Umfeld einer Wissenschaftlerin in einem recht abgehobenen Fachgebiet glaubhaft darzustellen, ist es hilfreich, dass ich selbst Teilchenphysik studiert und auf diese Weise einen direkten Einblick in diesen Teil der akademischen Welt erhalten habe.
“In ›ANTARER‹ habe ich das hochskaliert und meine Protagonistin eine wirklich weltbewegende Entdeckung machen lassen.”
RALPH EDENHOFER
RYAN ROCKWELL:
Was reizt dich an der Idee, deine Protagonisten einem Ereignis auszusetzen, das unaufhaltsam und gleichzeitig wissenschaftlich bahnbrechend und gefährlich ist?
RALPH EDENHOFER:
Meine bevorzugten Protagonisten, sowohl in meinen eigenen als auch anderer Leute Geschichten, sind Normalos, die durch äußere Umstände in Extremsituationen gezwungen werden, damit kämpfen und im besten Fall über sich hinauswachsen.
Meine eigene wissenschaftliche Karriere ist eher beschaulich, aber auch ich stand mehrmals vor Koryphäen aus aller Welt, um meine Forschungsergebnisse zu präsentieren. Diese Situationen waren gleichzeitig beängstigend und absolut fantastisch. Letzteres insbesondere, wenn man danach positives Feedback von den Granden des Fachgebiets bekommt.
In „Antarer“ habe ich das hochskaliert und meine Protagonistin eine wirklich weltbewegende Entdeckung machen lassen, mit Auswirkungen auf ihr Leben, die weit über meine eigenen Erfahrungen hinausgehen.
RYAN ROCKWELL:
Du bist Physiker, hast also einen naturwissenschaftlichen Background. Inwieweit entsprechen die in »Antarer« vorkommenden Technologien der Wirklichkeit?
RALPH EDENHOFER:
Ein Großteil der wissenschaftlichen Aspekte in „Antarer“ entspricht dem aktuellen Stand des Wissens. Das Gravitationswellenobservatorium, in dem Tony Rodgers arbeitet, gibt es zum Beispiel tatsächlich. Und an den Stellen, bei denen ich das Fundament der Physik verlasse, versuche ich, die Reaktionen der beteiligten Wissenschaftler glaubhaft darzustellen.
RYAN ROCKWELL:
Was würdest du tun, wenn du eine Entdeckung am Sternenhimmel machen würdest, welche auf die Existenz außerirdischen Lebens hinweist?
RALPH EDENHOFER:
Ich würde andere Experten in dem Fachgebiet kontaktieren und sie bitten, sich das auch mal anzusehen. So funktioniert Wissenschaft. Neue Erkenntnisse müssen unabhängig bestätigt werden, bevor sie allgemeine Akzeptanz finden. Und je weitreichender die möglichen Konsequenzen der Entdeckung sind, umso sorgfältiger muss die Bestätigung sein.
“Ich habe die Grenzen der aktuell bekannten Physik nur minimal verschoben.”
RALPH EDENHOFER
RYAN ROCKWELL:
Hältst du es für wahrscheinlich, dass wir Menschen zu unseren Lebzeiten Kontakt zu einer intelligenten außerirdischen Lebensform herstellen können?
RALPH EDENHOFER:
Nein. Ich halte es zwar für sehr wahrscheinlich, dass es außerirdisches Leben gibt, möglicherweise sogar intelligentes. Aber die Entfernungen im Weltall sind derart gewaltig, dass eine Kontaktaufnahme eher unwahrscheinlich ist.
RYAN ROCKWELL:
Dein Hauptwerk ist die in mehrere Trilogien gegliederte c23-Reihe. Um was geht es in c23? Steht es für Cyberpunk?
RALPH EDENHOFER:
Das „c“ steht für „century“ und weist darauf hin, dass die Geschichten im 23. Jahrhundert spielen.
Das c23-Szenario basiert auf zwei zentralen Aspekten. Zum einen ist es ein Hard-SF-Szenario, das heißt, ich habe die Grenzen der aktuell bekannten Physik nur minimal verschoben. Es gibt also zum Beispiel keine Überlichtgeschwindigkeit, was dazu führt, dass das Szenario auf das irdische Sonnensystem beschränkt ist. Auch Außerirdische spielen darin keine Rolle. Alle Konflikte und Herausforderungen in den Geschichten sind menschengemacht.
Der zweite Grundgedanke ist, dass sich viele SF-Geschichten auf einen bestimmten Fokus richten, also z. B. Raumfahrt oder Künstliche Intelligenzen oder Gentechnik usw. Vermutlich werden aber all diese Dinge in der Zukunft eine mehr oder weniger große Rolle spielen. Daher habe ich verschiedene gängige Tropes und Ideen einfach mal in ein Szenario hineingeworfen und geschaut, wie die sich gegenseitig beeinflussen.
Einer dieser Tropes ist auch der Cyberpunk, der mich seit der Entdeckung von William Gibsons Neuromancer-Trilogie und dem Rollenspiel Shadowrun extrem geprägt hat. Von daher ist Dein Gedanke, wofür das „c“ steht, gar nicht weit weg von der Wahrheit.
“Von daher halte ich den Cyberpunk für dermaßen realistisch, dass harte SF ihn schlicht und einfach nicht ignorieren kann.”
RALPH EDENHOFER
RYAN ROCKWELL:
Was findest du an Cyberpunk spannend? Du sagst ja, c23 war ursprünglich als Rollenspiel-Szenario konzipiert.
RALPH EDENHOFER:
Ich habe vor langer Zeit mal irgendwo gelesen, dass der Cyberpunk, sobald er einmal in die SciFi eingedrungen ist, sie nie wieder verlassen wird. Und das deshalb, weil viele der darin enthaltenen Ideen derart naheliegend sind, dass es schwer wird, sich ein futuristisches Szenario auszudenken, in dem sie keine Rolle spielen.
Und zahlreiche dieser Ideen sind ja inzwischen bereits in der Realität angekommen oder auf einem guten Weg dorthin, z.B. Künstliche Intelligenzen, Konzernherrschaft, Virtuelle Realitäten, die Verschmelzung von Biologie und Technik usw. Von daher halte ich den Cyberpunk für dermaßen realistisch, dass harte SF ihn schlicht und einfach nicht ignorieren kann.
Das c23-Szenario erweitert den klassischen Cyberpunk um verschiedene Aspekte, von denen der einschneidendste die Raumfahrt und Kolonisierung des Sonnensystems ist. Aber im Grunde ist es tatsächlich ein Cyberpunk-Szenario.
Und ja, ich habe es ursprünglich für meine Rollenspielrunde entwickelt und wir spielen es auch immer wieder mal. Aber als Hintergrund für Romane ist es ebenfalls hervorragend geeignet. Dass das Szenario bereits vor der Entstehung der ersten Romane sehr detailliert ausgearbeitet war, ist beim Schreiben ein großer Vorteil, weil ich einen guten Überblick über die gesamte Welt habe und genau weiß, was hinter der nächsten Ecke auf die Protagonisten wartet.
RYAN ROCKWELL:
Was hat dich zu deinen Romanen inspiriert? Bücher, Filme, Spiele, Geistesblitze?
RALPH EDENHOFER:
All das zusammen. Ich nehme nicht für mich in Anspruch, irgendwelche bahnbrechenden neuen Ideen in die Science Fiction eingebracht zu haben. Ich habe lediglich bereits mehr oder weniger bekannte Ideen neu kombiniert. Oft geht es mir so, dass ich einen Film anschaue oder ein Buch lese, und mir einzelne Aspekte davon gut gefallen, ich sie aber anders ausgestaltet hätte. Und genau das tue ich dann in meinen eigenen Geschichten.
“Ich schreibe ausschließlich das, was mir selbst gefällt .”
RALPH EDENHOFER
RYAN ROCKWELL:
Wie wird es nach »Antarer« weitergehen? Wird es eine Fortsetzung geben oder planst du die nächsten Romane von c23?
RALPH EDENHOFER:
Als Nächstes werden zwei Einzelromane aus dem c23-Szenario veröffentlicht. Einer befindet sich gerade im finalen Korrektorat und wird mit großer Wahrscheinlichkeit noch 2024 erscheinen. Der zweite ist bei meinen Testlesern und für nächstes Jahr vorgesehen.
RYAN ROCKWELL:
Darüber hinaus bist du überzeugter Selfpublisher. Warum?
RALPH EDENHOFER:
Weil ich als Selfpublisher meine eigenen Ideen frei umsetzen kann und nicht an anderer Leute Vorgaben gebunden bin. Ich nehme zwar gern Kritik und Rat von anderen Leuten an, aber die finale Entscheidung, was ich davon berücksichtige, treffe ich gern selbst. Ich kenne mehrere Verlagsautoren und ihre Kämpfe mit Lektoren und Verlegern. Die dafür notwendige Zeit verbringe ich lieber damit, neue Geschichten zu schreiben.
Ich arbeite aber mit mehreren Verlagen zusammen und habe schon Bücher über Verlage veröffentlicht. Da muss dann aber die Chemie stimmen, sonst mache ich’s lieber selbst.
RYAN ROCKWELL:
Hältst du dich beim Schreiben an Trends in der Science-Fiction oder schreibst du einfach nach Herzenslust?
RALPH EDENHOFER:
Eindeutig Zweiteres. Vermutlich ist das einer der Gründe dafür, dass meine Bücher nur selten in den Bestsellerlisten zu finden sind, aber ich schreibe ausschließlich das, was mir selbst gefällt und mein Geschmack ist halt nicht immer mit dem Mainstream kompatibel.
Umso mehr freut es mich, dass ich trotzdem – oder vielleicht auch gerade deswegen – eine kleine, aber recht eingeschworene Fangemeinde habe, die meine erzählerischen Vorlieben offenbar teilt.
“Von daher genieße ich jedes Treffen mit anderen Autoren, Lesern, SF-Fans .”
RALPH EDENHOFER
RYAN ROCKWELL:
Gibt es deiner Ansicht nach Themen, die Science-Fiction mehr wagen sollte? Gibt es vielleicht Themen, die mittlerweile überholt sind oder von denen du findest, dass sie zu oft behandelt werden?
RALPH EDENHOFER:
Mir fällt gerade kein Thema ein, das intensiver beachtet werden sollte. Aber ich bin kein Fan vom dreihundertsiebenundzwanzigsten Aufguss bereits bestehender Ideen. Von daher schreibe ich z.B. keine Portal-SciFi oder Space Opera, solange ich dem Untergenre nicht irgendetwas Neues hinzuzufügen habe. Auch wenn viele Leser von ihrem Lieblingstrope offensichtlich nicht genug bekommen können.
C23 weist zwar auch viele Ähnlichkeiten z.B. zum „Expanse“-Szenario auf, aber in der Richtung gibt es meinem Eindruck nach noch nicht so viele. Von daher tobe ich mich da gern aus.
Mit „Antarer“ habe ich mich in das ebenfalls recht breit bediente Feld der Erstkontakt-Szenarien begeben, aber eben mit (hoffentlich) etwas anders gestalteten Aliens als in den Geschichten anderer Autoren.
RYAN ROCKWELL:
Du hältst gern Lesungen, das trifft nicht auf jeden Schreibenden zu 🙂 Was magst du daran?
RALPH EDENHOFER:
Ich bin ein sehr sozialer Mensch und arbeite gern mit anderen Personen zusammen. Das Schreiben ist allerdings die meiste Zeit ein recht einsamer Prozess. Von daher genieße ich jedes Treffen mit anderen Autoren, Lesern, SF-Fans und sonstigen Leuten, mit denen ich mich über meine Lieblingsthemen austauschen kann. Dafür sind Lesungen perfekt geeignet.
Am liebsten mit anschließenden Fragerunden oder einem gemeinsamen Bierchen. Aus diesem Grund gehe ich übrigens auch gern auf Lesungen anderer Autoren.
RYAN ROCKWELL:
Danke für deine Zeit, Ralph. Ich wünsche dir weiterhin viel Spaß und Erfolg beim Schreiben.
ANTARER – BESUCH AUS DEM ALL
In einer einsamen Nachtschicht am Gravitationswellenobservatorium LIGO entdeckt die Astrophysikerin Tony Rodgers ein seltsames Signal aus den Weiten des Weltalls. Zuerst hält sie es für einen Messfehler.
Doch bald zeigt sich, dass es real ist.
Was diese Entdeckung nach sich zieht, stellt nicht nur ihre persönliche Welt völlig auf den Kopf, sondern rüttelt an den Grundfesten der Physik. Und nicht nur das. Nach und nach wird klar, dass die Quelle des Signals nicht natürlichen Ursprungs ist.
Etwas ist auf dem Weg zur Erde. Und es bedroht nicht nur die Existenz der Menschheit, sondern alles Leben auf dem Planeten.
DAS NÄCHSTE INTERVIEW
Mit der SPACE LOUNGE möchte ich Science-Fiction-Fans ›ihre‹ Autoren näherbringen. Die kommenden Gespräche sind bereits in Vorbereitung.
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